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Angst vor dem Tod: Gibt es ein Rezept dagegen?


 

 

 

 

 

 

 

© fotolia/fergregory

Gelassen dem eigenen Tod entgegensehen, das würde so mancher Mensch gern – aber nicht jedem will es gelingen. Die Umstände unseres Sterbens liegen teilweise in unserer Hand. Unvermeidlich bleibt, dass wir unser Leben verlieren werden. Bei diesem Gedanken empfinden viele Menschen heftiges Unbehagen, ja Angst.



Das Problem beschäftigt die Menschen seit Jahrtausenden. Einige haben behauptet, sie hätten eine Lösung. Drei dieser Lösungsansätze will ich näher betrachten, den christ­lichen, den buddhistischen und den des antiken Heiden Epikur.


 

Paulus – der christliche Ansatz


Die Toten werden zur Unvergänglichkeit auferweckt... Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? „Tod, wo ist dein Stachel?“, verkündet der Apostel Paulus. Doch nicht ohne Grund schreibt der Indianer Vine Deloria: „Von allen Menschen in der Welt sind es die Christen und die von ihnen beherrschten Völker, die den Tod am meisten fürchten“. Er erzählt von Indianern, denen man vor ihrer Hinrichtung Heimaturlaub geben konnte, weil man damit rechnen konnte, dass sie pünktlich zur Hinrichtung wieder erschienen.
Vielen Christen wurde die Vorfreude aufs Jenseits vergällt durch die Aussicht auf einen strengen göttlichen Richter, aufs Fegefeuer, auf die Hölle. Jesus mahnte, dass viele den Weg ins Verderben gingen, aber nur wenige den Weg zum Leben.


Heute glauben viele Christen an einen gnädigen Gott und sehen hoffnungsfroh dem Jenseits entgegen. Aber die Vorfreude wird getrübt durch offene Fragen: „Gibt es denn wirklich ein Leben nach dem Tode?“ Und wenn ja: „Was wird dort aus uns?“


Diese Fragen wurden schon zu Jesu Zeiten diskutiert. Die Sadduzäer glaubten nicht an eine allgemeine Auferstehung. Sie fragten Jesus: „Was sollte denn dann aus einer Frau werden, die im Leben mit mehreren Männern nacheinander verheiratet gewesen und Witwe geworden war? Zu welchem Manne sollte sie gehören?“.

Jesus erwiderte, Ehen seien eine irdische Angelegenheit, nach der Auferstehung seien die Menschen wie die Engel und ehelos. Damit beantwortete er zwar die Frage der Sadduzäer, aber das hat seinen Preis: Die Menschen wären nicht mehr die gleichen. Sie hätten mehr verloren als das, was sie hatten: etwas von dem, was sie waren.


Was auch immer wir über Auferstehung glauben mögen, eines steht fest: Mit unserer körperlichen Existenz verlieren wir zugleich unsere soziale Existenz. Was auch immer wir in ein anderes Leben hinüber retten mögen, wir verlieren etwas Wesentliches.
Eine Ungewissheit ist allen Christen gemeinsam: gibt es das verheißene Leben nach dem Tode denn wirklich? Es ist eine kühne Verheißung angesichts unserer Erfahrungen. Immer wieder stellen wir fest, wie eng bewusstes Leben verknüpft ist mit entsprechenden Hirnfunktionen. Wir kennen vorüber­gehende Unter­brechungen unseres bewussten Erlebens während einer Narkose. Wir beobachten Men­schen, bei denen krankhafte Hirnverände­rungen im Alter zu einem erschreckenden Verfall der Persönlichkeit führen; manchmal ist am Ende kaum noch etwas übrig von dem Menschen, den wir einmal gekannt haben. Unsere Erfahrungen legen den Schluss nahe: Wenn wir sterben und unser Hirn endgültig zerstört wird, dann wird auch unser Leben ein endgültiges Ende finden.


Die Verheißung des ewigen Lebens kann die Angst vor einem endgültigen Ende nicht ausräumen. Schließlich wissen wir: Religiöse Verheißungen bieten nicht die gleiche Gewissheit wie das Wissen, das auf Erfahrungen beruht.

 Aber die Verheißungen machen es leicht, die Angst vor dem endgültigen Ende aus dem Bewusstsein zu verbannen. Dann ist es nicht mehr möglich, diese Angst seelisch zu verarbeiten, sie ertragen zu lernen.
Die Angst löst sich aber auch nicht einfach in Nichts auf; dazu ist sie zu gut begründet. Sie wird nur ins Unter­bewusstsein verdrängt und lauert dort in unverminderter Unerträg­lich­keit. So können Menschen die Angst vor einem endgültigen Ende weder loswerden noch ertragen lernen. Gerade der Glaube, der sich rühmt, die Angst vor dem Tode zu besiegen, kann zum Hindernis bei ihrer Bewältigung werden.



Buddha (ca. 550-483 v.u.Z.)
Buddha versprach keine ewige Seligkeit. Er versprach „nur“ die Aufhebung des Leidens. Ein Fortleben nach dem Tode hielt er gar nicht für erstrebenswert: „Alles Leben ist Leiden; alles Leiden hat seine Ursache in der Begierde, im ‚Durst’; die Aufhebung dieser Begierde führt zur Aufhebung des Leidens, zur Unter­brechung der Kette der Wiedergeburten“.
 Eine traurige Philosophie, die ein lebensfroher Mensch sich nicht leicht zu eigen macht.



Epikur (ca. 341-270 v.u.Z.)
Epikur glaubte nicht an ein Leben nach dem Tode. Er sprach vom Tode als „Verlust der Empfindung“ und verkündete: “Der Tod geht uns nichts an, denn solange wir sind, ist der Tod nicht da, wenn aber der Tod da ist, dann sind wir nicht mehr.“
Diese Ansicht steht im Einklang mit unseren Erfahrungen. Wer im Gedanken an das endgültige Ende Trost sucht, braucht keine begründeten Zweifel zu fürchten. So ist dieser Gedanke besonders geeignet, Ängste vor einem schrecklichen Jenseits auszuräumen.
Zugleich mag er Menschen trösten, die schwer zu leiden haben oder das Leiden eines geliebten Menschen miterleben. Ein Tod, der das Ende aller Empfindung ist, ist auch das Ende allen Leidens. Und dies gewisser als bei Jesus oder bei Buddha, weil es nicht an irgendwelche Bedingungen geknüpft ist.


Weisheit liegt in Epikurs Worten, dass „die Bemühung um ein schönes Leben und einen schönen Tod dieselbe ist.“ Ein schönes Leben ist erstrebenswert um seiner selbst willen. Vielleicht kann es uns außerdem das Sterben erleichtern. Wenigstens erspart es uns in unserer letzten Stunde das bittere Gefühl, zu kurz gekommen zu sein.


Epikur versuchte, dem Ende des Lebens jeden Schrecken zu nehmen. Er pries die Vernunft: auch in endlicher Zeit könne sie „das vollkommene Leben“ verschaffen. Was will ein Mensch mehr? Hier kann ich Epikur nicht folgen. So vollkommen ist mein Leben noch lange nicht. Es gibt noch so viel, das ich tun und erleben möchte...
Die „ideale Haltung gegenüber Leben und Tod“ ist nach Epikur „die der hin­nehmen­den Gelassenheit“. Das erinnert ein wenig an Buddhas Idee der „Aufhebung der Begierde“.


Und wir? Fraglich bleibt, ob diese Empfehlungen für jeden Menschen das Richtige sind. Ich strebe nach einem erfüllten Leben. Ich will mich für Menschen und Dinge interessieren und mein Herz daran hängen. Nur so kann der Reichtum des Lebens mir etwas bedeuten; nur so habe ich etwas davon. Der Verlust am Ende mag dadurch schmerzhafter werden; aber das ist mir immer noch lieber als das bittere Gefühl, mich selbst beraubt zu haben.
Der Verlust des Lebens ist ein herber Verlust, für den Sterbenden selbst wie für seine Hinterbliebenen. Angst, Trauer und Wut sind normale Reaktionen. Sie müssen zugelassen und seelisch verarbeitet werden. Diese Trauerarbeit ist schmerzhaft, und ganz damit fertig wird manch einer sein Leben lang nicht. Trotzdem ziehe ich sie jenen Scheinlösungen vor, die auf Verdrängung beruhen. Ich denke, nur durch Trauerarbeit können wir lernen, den Gedanken an den Tod zu ertragen. Den Gedanken an den Tod lieber Menschen, und den Gedanken daran, dass wir selbst sterben müssen.

Biographisches


Irene Nickel



1949: Geboren in Göttingen; damaliger Name: Irene Krämer


1968: Abitur


1975: Diplom in Mathematik, danach Umzug nach Braunschweig und Arbeit als Programmiererin


1978: Heirat


1979, 1982: Geburt meiner Kinder

Starkes Interesse an politischen Entwicklungen. Mitarbeit im „Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten e. V.“ (IBKA) und mehrere Jahre lang Delegierte in der „Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben e.V.“ (DGHS).
 
Erste intensive Begegnung mit Philosophie in der Schulzeit. Während des Mathematik-Studiums Beschäftigung mit dem Thema  „Probleme des Wahrscheinlichkeitsbegriffs“ von Professor Dr. Erhard Scheibe.



Studium von Schriften der  Philosophen Bertrand Russell, John Leslie Mackie, Karl Popper und Hans Albert. Aspekte der Ethik beim Schwangerschaftsabbruch, dem Umgang mit Embryonen und der Sterbehilfe.