· 

Jede Trauer sucht einen Gedenkplatz


Der Autor:

Prof. Dr. Norbert Fischer

 

Honorarprofessor am Institut für Volkskunde/ Kulturanthropologie sowie Privatdozent für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg; Promotion in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte mit der Arbeit „Vom Gottesacker zum Krematorium – eine Sozialgeschichte der Friedhöfe in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert“.

 

Forschungen, Publikationen, Vorträge und Seminare zur Geschichte von Friedhof, Grabmal, Bestattung, Tod und Trauer.

Da in Deutschland per Gesetz eine Friedhofspflicht für die Bestattung der Urnen gilt, entfällt die Aufbewahrung zu Hause, wie dies beispielsweise in Belgien möglich ist. Andere Länder, andere Sitten, könnte man denken. Doch längst liegt der Wunsch nach individueller und persönlicher Ausgestaltung der Familien- Grab- oder Gedenkstätte auch hierzulande voll im Trend. Im Ländervergleich erscheinen die in Deutschland geltenden bürokratischen Vorgaben als massives Ungleichgewicht gegenüber individuell geforderten Lösungsansätzen für die Praxis. Und es scheint, als hielten wir akribisch an einer einzigen überlieferten Idee aus der Vergangenheit fest, die da lautet: Friedhofszwang (der Begriff aus 1934) und entwickelten andere Lösungen nicht weiter. So als ignorierten wir den Wandel der Zeiten und der Welt, in der wir leben.

 

Daher verwundert es nicht, im Internet anhand offenherziger Tipps zu erfahren, wie die unzulässige Aschenaufbewahrung in Deutschland umgangen werden kann.

 

Da die Beisetzung der Asche weniger Fläche benötigt als eine Erdbestattung und die Zahl der Urnenbeisetzungen in den letzten Jahrzehnten anstieg, hat sich im Laufe der Zeit das Erscheinungsbild der Friedhöfe verändert. Sich aneinanderreihende teil-anonyme Grabstätten und anonyme Rasenflächen kennzeichnen die deutsche Friedhofslandschaft. Parallel führte z.B. die Zunahme der Seebestattungen insbesondere in Norddeutschland dazu, dass sich die Friedhöfe dort entleeren. Eine parkähnliche Situation entsteht und stellt die Friedhofsverwaltungen vor neue (finanzielle und strukturelle) Herausforderungen.

 

Einhergehend mit den Ausgestaltungen anonymer Urnengräber in der jüngeren Vergangenheit scheint der Tod selbst unter der grünen Rasenfläche in der Versenkung zu verschwinden – als wolle man die entstandene Kluft zwischen Verstorbenen und zurückbleibender Gemeinde optisch aufheben. Andererseits sind gerade preiswerte Grabstätten und eine günstige Nutzung der Friedhofs- flächen angenehme Folgeerscheinungen für Kundinnen und Kunden.

 

Mit den negativen Auswirkungen in der Bestattungskultur beschäftigen sich gegenwärtig verschiedene Kommunen und Einzelunternehmen. Vielerorts hat sich ein Umdenken angebahnt: Auf welche weiteren gesellschaftlichen Herausforderungen müssen die Verwaltungen zukünftig reagieren? Welche neuen Gestaltungsmöglichkeiten bergen die Friedhöfe? Wie kann man der eingezogenen Trostlosigkeit entgegenwirken? Es wird erkannt, dass trauernde Angehörige zum Verabschieden angenehme Orte sowie Orte zum Verweilen brauchen. Denn jene suchen nach Zeichen der Verbundenheit, Zeichen der Nähe und Zeichen der Liebe im Verabschiedungsprozess zu ihren Verstorbenen.

 

Sichtbare Aufbewahrungsorte für Urnen von Künstlerinnen und Künstlern tragen dazu bei, positive Alternativen für die Hinterbliebenen zu sein. So genannte Sichturnen, z.B., kennzeichnen den Ort des Verstorbenen über der Erde, wie der Name schon sagt: In sichtbarer markanter Form und Ausgestaltung, in Erinnerung des Todes.

 

Ob der Friedhof grundsätzlich immer der einzige Ort des Gedenkens an unsere Verstorbenen bleiben soll, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Genauso: Wie man mit den gravierenden Herausforderungen des Todes in der fortgeschrittenen technischen Welt umgehen soll. Dies gilt es, langfristig zu erörtern und im gesellschaftlichen Rahmen zu diskutieren.

 

Ganz gleich ob man der Feuerbestattung selbst positiv gegenüberstehen mag oder nicht – längst ist sie in Deutschland zum Inbegriff moderner Bestattungsformen geworden. Doch noch sind es wenige Menschen, die auf die Idee kommen, z.B. in ihrer Heimatstadt nach den Vorgängen im ortsansässigen Krematorium zu fragen:

 

Wie sieht es von innen aus? Welche Abläufe gibt es dort?

Selten fragen wir im Voraus: Wollen wir an der Einäscherung eines nahen Angehörigen dabei sein? Die Neugierde scheint sich tendenziell eher nach außen – auf andere Länder und deren Angebote der Einäscherungsvorgänge – zu konzentrieren.

Mit steigenden Einäscherungszahlen wird sich das vermutlich ändern.